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8 avr. 2011

Deutschlands Südwestern : Europas Silicon Valley

Deutschlands Südwesten hat sich zu einem führenden Standort für die IT-Branche entwickelt. Ein Besuch in Europas Silicon Valley

Von Kurt de Swaaf

Die Zukunft versteckt sich im Unscheinbaren. Kaum etwas in dem kühl beleuchteten, grauen Raum im Keller von Gebäude 445 lässt erahnen, an welch bahnbrechender Technologie hier gearbeitet wird: Eine winzige, im menschlichen Auge eingepflanzte Apparatur soll altersschwache Linsen mitsamt ihren Muskeln zur Scharfstellung der Sicht ersetzen. Lesebrillen würden dadurch überflüssig. „Unser Plan ist, dass bis 2014 ein Prototyp existiert“, sagt Helmut Guth. Der Physiker gehört dem interdisziplinären Forscherteam an, welches seit 2004 dieses sogenannte künstliche Akkommodationssystem entwickelt. Guth arbeitet am Institut für Angewandte Informatik des „Karlsruhe Institute of Technology“ (KIT). Im Labor führt er die Technik vor. Zwei überdimensionierte künstliche Augen sollen aus unterschiedlicher Distanz ein Bild fixieren. Das gelingt verblüffend gut. Sobald das Bildtäfelchen verschoben wird, ändert sich die Einstellung der Linsen, und wenige Sekunden später erscheint die aufgenommene Zeichnung eines Kaninchens wieder scharf auf dem Bildschirm des Computers. An der Winkelstellung der Kunstaugen erkennt das System, wohin geschaut wird, wie nah oder fern das Objekt ist, erklärt Guth. Dabei orientiert sich die Technik am Erdmagnetfeld.

Die Entwicklungsarbeit erfordert wahre Meisterleistungen der Mikrotechnologie. Die künstliche Linse, mechanische Bauteile, Elektronik, Sensoren und natürlich auch noch eine Energieversorgung – alles muss in einem Scheibchen von einem Zentimeter Durchmesser und vier Millimetern Dicke zusammenpassen, erläutert Helmut Guth. Besonders anspruchsvoll sei auch die Programmierung der hierzu erforderlichen Software. „Wenn viele verschiedene Teilsysteme sicher zusammenarbeiten müssen, dann wird es komplex.“ Die jeweils nötige Linseneinstellung berechnet ein Mikrocontroller anhand der durchgängig gelieferten Sensordaten.

Das KIT und das künstliche Akkommodationssystem sind nur zwei Beispiele für die Aktivitäten der geradezu boomenden Informationstechnologie im Südwesten Deutschlands. Die Region ist zu einem IT-Standort ersten Ranges herangewachsen und wird oft als europäisches Silicon Valley bezeichnet. Neben 17 wissenschaftlichen Institutionen sind hier auch große Firmen wie Europas größter Softwarehersteller SAP, die Software AG – ebenfalls eines der weltweit führenden Unternehmen für Softwarelösungen – sowie zahlreiche kleinere Unternehmen aus der Informatikbranche angesiedelt. Sie alle haben sich im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)im Januar 2010 ausgezeichneten „Software-Cluster Rhein-Main-Neckar“ zusammengeschlossen. Insgesamt 350 Clusterpartner verfolgen das Ziel, die Entwicklung von Softwareinnovationen für „das digitale Unternehmen“ zu intensivieren. Das BMBF fördert solche Vorhaben bis 2015 mit bis zu 40 Millionen Euro jährlich. Bei Unternehmenssoftware kommen die südwestdeutschen Firmen bereits auf einen Weltmarktanteil von 36 Prozent. Gemeinsame Forschungsprojekte und die Kooperation im Cluster sind entscheidend für den künftigen Erfolg der Softwareindustrie in der Region, betont Karl-Heinz Streibich, Chef der Software AG in Darmstadt. „Eine wachsende internationale Anerkennung der Region hilft uns, unsere Initiativen voranzutreiben.“

Streibichs Unternehmen hat sich in erster Linie auf die Entwicklung von Software für das digitale Management von Geschäftsprozessen spezialisiert. Letztere sollen besser mit der materiellen Realität verknüpft werden, erklärt Harald Schöning. „Aus dem, was in der Welt passiert, müssen wir wissen, was das für mein Geschäft bedeutet“, sagt er. Logistikprozesse sind hierfür ein gutes Beispiel. Man stelle sich einen LKW mit Tiefkühlkost vor, sagt Software-Experte Walter Waterfeld. Es ist Hochsommer, und der Laster steht im Stau. Sensoren im Laderaum melden der Firmenzentrale steigende Temperaturen. Was tun? Kann der Transport noch rechtzeitig sein Ziel erreichen, gibt es ein Lager in der Nähe, oder soll der Fahrer umkehren und zurückfahren? Solche Entscheidungsketten unterstützt intelligente Software.

„Unsere Zukunftsvision ist, dass jedes Produkt seine Lebensgeschichte kennt“, sagt Harald Schöning. Die Idee: Alle relevanten Daten sind auf Spezialchips an der Verpackung gespeichert und können so mit der Außenwelt kommunizieren. Leeren sich im Supermarkt die Regale schneller als erwartet? Kein Problem. Der Lagerchef hat bereits eine Meldung bekommen und sorgt für Nachschub. Die Entwicklung solcher Innovationen betreibt die Software AG zusammen mit anderen Partnern im Rahmen des Projektes „Allianz Digitaler Warenfluss“.

Eine ganz andere IT-Perspektive verfolgt das Team von Mario Albrecht am Max-Planck-Institut für Informatik in Saarbrücken. Die Wissenschaftler arbeiten an der Darstellung molekularer Netzwerke in der medizinischen Bioinformatik. So sollen hochkomplexe biochemische Vorgänge, etwa in den Zellen von Menschen, übersichtlich visualisierbar werden. Die etwa 20000 menschlichen Gene steuern die Produktion einer noch viel größeren Zahl unterschiedlicher Proteinmoleküle. Da ist es leicht, den Überblick zu verlieren, wenn man nur Listen oder Tabellen zur Verfügung hat. Bildlich lassen sich die enormen Datenmengen jedoch bewältigen und Zusammenhänge erkennen. Albrecht und seine Kollegen machen genau das möglich. Die von ihnen entwickelten Programme stellen die Experten kostenlos im Internet zur Verfügung. Forscher in der ganzen Welt können sie herunterladen. „Mittels unserer Netzwerkdarstellungen sieht man, welche Moleküle miteinander interagieren und welche Proteine eventuell fehlerhaft funktionieren“, erklärt Mario Albrecht. „Solche Analysen können dann wertvolle Hinweise auf eine Krankheitsursache geben.“////

10.02.2011Links: